Die Vorgeschichte
Vielleicht erinnert sich die eine oder der andere noch an das Drama um Fast Track Trading, die im November verkündeten, pleite zu sein und keine Auszahlungen mehr machen zu können. Ich war gegen meine Gewohnheit relativ stark investiert und hatte eine Reihe von Konten bei der Firma.
Im September und Oktober hatte ich eine gute Phase und so hatte ich für einige Konten schon Auszahlungen beantragt, für andere standen diese kurz bevor. Die meisten wissen, wie die Geschichte endete – Firma weg, es gab keinen Cent. So verlor ich also neben den Kosten für die Konten und der investierten Zeit alle meine (anfangs) sicher geglaubten Auszahlungen. Das war ein für mich eine bedeutende Summe Geld.
Zum Glück hatte ich schon im Oktober damit angefangen, mir weitere Konten bei Tradeify aufzubauen. Auch diese entwickelten sich prächtig, was mir die Stimmung nach dem FTT-Schlamassel merklich aufhellte.
Der Vorfall
Ende Dezember letzten Jahres gab es dann einen Vorfall im Familienkreis, der mich emotional sehr mitgenommen und aus der Routine gerissen hat. Noch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte beschloss ich, für eine Zeit nicht mehr zu traden. Gute Entscheidung!
Einige meiner neuen Konten waren jedoch so kurz vor einer Auszahlung und die Price-Action war trotz der Jahreszeit gut, so dass ich entschied zu versuchen, dass Jahr wenigstens in Sachen Prop-Trading positiv abzuschließen und „noch eben schnell“ die Konten über das Gewinnziel bringe. Schlechte Entscheidung!
Erster Trade, ein Verlust. Zweiter Trade, ein Verlust. Tja, was soll ich sagen? Ich war mit meiner Vorgeschichte derart neben der Spur, dass ich diese Verluste nicht akzeptieren konnte und die Konten letztlich erfolgreich in Grund und Boden gehandelt habe. Keine Auszahlungen, Fröhliche Weihnachten!
Die Folgen
Es gab also zumindest in Sachen Trading kein Frohes Neues Jahr für mich. Aber es nützt ja nichts… wieder aufstehen, das Krönchen richten und weiter machen ist die Devise. Das kenne ich nur zu gut, an dem Punkt war ich vor zwei oder drei Jahren ständig. Das kann ich.
Es gab also – und das ist im Prop-Trading ja das Schöne – einfach ein paar neue Konten und weiter geht’s. Das einzige Problem war nur, es klappte nichts mehr. Mein Edge im Markt (Handelsvorteil) schien komplett verloren und meine emotionale Verfassung war ein Desaster. Fröhliches Chartgeballer wie zu besten Anfängerzeiten. Tilt!
So verbrachte ich also die meiste Zeit des Januars damit Konten zu plätten, meine Strategie und mein Mindset zu hinterfragen und mich in Selbstzweifeln zu ergehen. Was war passiert?
Die Sinnsuche
Ich hatte total unterschätzt, wie sehr mich die Geschehnisse zum Ende des letzten Jahres mitgenommen haben und ich diese Emotionen noch unkontrolliert in mir trug. Auch habe ich erfahren müssen, wie lange der Zustand von Tilt eigentlich anhalten kann. Naiverweise dachte ich irgendwie, das ist mal eine Sache von einem höchstens ein paar Tagen. Aber klar, wenn der Grund nicht beseitigt wird, wie sollte es dann besser werden?
Ich hatte meinen Fokus auf den Prozess für gutes Trading völlig aus den Augen verloren. Ich veränderte meinen Trading-Stil und ließ Strategie und Risikomanagement komplett links liegen. Einziges Ziel war es, die gemachten Verluste wieder „reinzuholen“. Die Konzentration auf das Geld ist mit das Schlechteste, was man im Trading machen kann, um auch nur ansatzweise erfolgreich handeln zu können.
Der Ausweg
Nachdem mich mein Trading-Verhalten immer mehr anekelte und ich mich ernsthaft selbst fragte, ob ich in all diesen Jahren denn überhaupt nichts gelernt habe, musste ich grundlegende Veränderungen vornehmen.
Es galt zunächst, mich wieder auf den Prozess des Handelns und einzig auf die Gegenwart zu konzentrieren und mich nicht von Emotionen oder vergangenen Geschehnissen kontrollieren zu lassen. Da hilft es logischerweise, die Positionsgrößen zu verringern. Daher handele ich zur Zeit Micros auf kleinen 50k-Konten und kopiere meine Trades in mehreren Gruppen und nicht alle auf einmal.
Auch habe ich meine Strategie weiter angepasst, um weniger Ermessenspielraum (Discretion) zu haben und weniger Entscheidungen treffen zu müssen. Die Strategie ist genauer und gibt mir besser vor, was zu tun ist.
Auf diese Weise kann ich nach und nach wieder Vertrauen in meine Fähigkeiten gewinnen, mir Emotionen besser bewusst werden und mich nicht von ihnen kontrollieren lassen. Es geht dann zwar weitaus langsamer voran, aber es geht voran. Poco a poco.
Das Gelernte
Diese Krise hat natürlich auch ihr Gutes, denn ich habe ordentlich dazugelernt. Und ich kann nur jedem empfehlen, solche Phasen als Geschenk, mindestens aber als Möglichkeit zum Lernen zu betrachten. So haben sie wenigstens einen Sinn und sind nicht verlorene Zeit.
Nicht traden
Zu akzeptieren, dass man in manchen Situationen nicht fähig ist, vernünftig zu traden, ist ganz wichtig. Es gibt Dinge im Leben, die man nicht beeinflussen kann. Man muss ich selbst genug kennen und die Disziplin entwickeln, dieses zu erkennen und durchzuziehen.
Kontostand traden
Prop-Trading verleitet oft dazu den PnL bzw. den Kontostand zu traden. Besonders wenn „nur“ noch 200$ bis zum Gewinnziel der Evaluierung oder sogar der Auszahlung fehlen, sollte man unter keinen Umständen aufhören, das erprobte System zu Handeln.
Emotionsarm traden
Tilt kann lange anhalten. Wenn man sich nicht um die Wurzel des Fehlverhaltens kümmert, wird dieser Zustand nicht enden. Ich denke sogar, dass manche Leute gar keinen anderen Zustand kennen bzw. jahrelang in ihm gefangen sind. Jeder muss sich seiner Emotionen bewusst werden, um nicht von ihnen kontrolliert zu werden.
Kleiner traden
Wer bei sich Anzeichen von Tilt oder auch nur zuviel Emotion bei Verlusten verspürt, sollte unbedingt die Positionsgrößen verringern, um sich weiterhin auf den Prozess konzentrieren zu können. Erst wenn nötiges Vertrauen wieder erlangt wird, kann man sich normale Positionen wieder „verdienen“.
Fazit
Dieser etwas längere Artikel über ein sehr persönliches Thema geht alle Trader etwas an. Ich denke, dass ausnahmslos alle, die sich dem Trading widmen, Erfahrungen mit Tilt und Selbstzweifeln machen. Mit den Selbstdarstellungen auf Social Media lässt man sich nur zu leicht verblenden.
Die Wahrheit ist, dass auch professionelle Händler, die diesen Job seit Jahrzehnten machen, mit solchen Phasen zu kämpfen haben. Wichtig ist, Wege zu finden, sich dessen bewusst zu werden und Auswege zu finden, damit der Fokus wieder auf den Prozess und sauberes Trading gelenkt werden kann.
Mir ist dies in diesem Jahr bisher nur sehr bedingt gelungen. All die Bücher über Trading-Psychologie und Selbstoptimierung haben nicht verhindert, dass ich in diese Situation komme. Sie haben mir jedoch geholfen, wieder herauszufinden. In diesem Sinne… ein verspätetes Frohes Neues Jahr!
2 Kommentare
KommentierenKlasse Artikel! Chapó!!!
Diese Erdung hat mehr Wert als man glaubt!
Du hast alles gesagt und ich denke, sehr vielen hast Du damit aus der Seele gesprochen. Ich sag Dir mal ganz ehrlich: Bester Artikel ever ⭐⭐⭐⭐⭐⭐♾️
In diesem Sinne wünsche ich Dir auch beim traden viele Erfolge weiterhin.
Herzliche (ohne Trader) 😉Grüße aus Bayern -München
Ich danke Dir sehr für Deine Worte lieber Mark! 🤘🏽