Immer pixelperfect, immer logisch
Bevor Responsive Webdesign für alle möglichen Bildschirmgrößen ein Ding war, musste Webdesign pixelperfect sein. Alles war genau bemessen und perfekt ausgerichtet. Ich konnte Kreativität mit Perfektion kombinieren und war daher gut darin. Ich hatte einen Rahmen, in dem ich mich wohlfühlte.
Da ich außerdem die meisten meiner Projekte als 1-Mann-Show unterhielt, musste ich auch Programmieren. Für die Nerds unter Euch… das meiste machte ich damals in HTML, CSS, PHP und Javascript. Programmieren heißt perfekte Organisation des Codes, kein Komma zuviel, alles nach dem DRY-Prinzip („Don’t repeat yourself“) in sich aufbauenden Klassen und Funktionen organisiert, wenn If dann mach das… abertausende Zeilen Code mussten einfach perfekt sein.
Die falsche Perfektion im Trading
Vor etwa 5 Jahren begann ich, mich für das Thema Daytrading zu interessieren. Es ging um Zahlen, um harte Fakten, Zinsen runter, Aktien rauf… easy. Ich lernte Technische Analyse und nach ein paar Monaten war ich gerüstet für den Kampf mit Bullen und Bären. Spoiler: natürlich nicht. Mir fehlte einfach alles, was in der Trading-Psychologie wichtig ist.
Ich wendete stur mein Coder-Mindset mit If-Abfragen an, vergaß aber oft das Else. Wenn der Preis über die Trendlinie ausbricht, wird gekauft… logisch, kann ich. Wenn der Preis auf einen Widerstand trifft, wird verkauft… check. Dass die meisten Ausbrüche Fehlausbrüche sind oder dass Widerstände einfach überrollt werden können, passte nicht in meine Gleichung.
Natürlich wusste ich früh, dass es sich beim Trading auch immer nur um Wahrscheinlichkeiten handelte. Aber mein Gehirn verweilte viel zu lange in dem „Wenn das passiert, muss etwas Bestimmtes folgen… und nichts anderes“-Modus. Ich beharrte auf meiner Position und wollte Recht haben. Die fehlende Flexibilität gepaart mit dem nicht-vorhandenen Risiko-Management führte zu entsprechenden Ergebnissen… jahrelang.
Sturheit & Streben nach Perfektion nutzen
Auch heute – viele Monde später – bin ich noch immer ein sturer Kopf, ich bin weiterhin Perfektionist. Doch mit den Jahren der Erfahrung und des Immerweideraufdiefressekriegens habe ich gelernt diese Eigenschaften im Trading zu meinem Vorteil zu nutzen.
Anstatt mich stur auf das Resultat eines Trades zu konzentrieren und dabei Recht haben zu wollen, fokussiere ich mein Streben nach Perfektion heute auf den Prozess… die Auswahl und Häufigkeit meiner Trades, die Disziplin, die es benötigt, nicht zu traden, das Trade-Management, also Trades laufen zu lassen und den SL da zu lassen, wo er ist. Die Liste ist lang.
Um seinen Fokus einzig auf die Durchführung eines Trades lenken zu können – gebe ich zu – braucht es Erfahrung. Trader müssen viel (also echt viel) Zeit in den Charts verbringen, müssen Geld verlieren und unzählige Fehler machen, um zu Lernen, wie denn der „richtige“ Prozess aussieht, der einen letztlich Geld verdienen lässt.
Konzentration auf den Prozess
Man kann im Trading nur beeinflussen, wie häufig man ein bestimmtes Risiko eingeht. Punkt. Alles andere ist letztlich dem Chaos überlassen. Mit einer profitablen Strategie können wir Wahrscheinlichkeiten zu unseren Gunsten beeinflussen und mit Hilfe der Trading-Psychologie können wir unser Handeln kontrollieren.
Um profitabel handeln zu können, müssen Trader lernen, einen Trade nicht am Resultat, sondern an der Qualität der Ausführung zu bewerten.
Entgegen dem, was wir in der Schule gelernt haben, kann es schlechte Noten (hier Verluste) auch geben, wenn alles richtig gemacht wurde. Ein Revenge-Trade, den es nie hätte geben dürfen, kann einen wieder in den Gewinn bringen. Die Bewertung eines Trades muss also über den Prozess stattfinden.
Fazit
Mit einem „simplen“ Perspektivwechsel, der alles andere als einfach ist und viel Erfahrung bedarf, kann man die Trägheit und Sturheit des menschlichen Gehirns und auch falsches Streben nach Perfektion – wie in meinem Fall – durchaus positiv für das Trading nutzen. Aber das braucht Zeit und die muss man sich nehmen.